(16) G"tt sprach zu Mosche: (17) Sag zu Aaron: Keiner deiner Nachkommen, auch in den kommenden Generationen, der ein Gebrechen hat, darf herantreten, um die Speise seines Gottes darzubringen. (18) Denn keiner mit einem Gebrechen darf herantreten: kein Blinder oder Lahmer, kein im Gesicht oder am Körper Entstellter, (19) kein Mann, der einen gebrochenen Fuss oder eine gebrochene Hand hat, (20) keiner mit Buckel, kein Kleinwüchsiger, keiner mit Augenstar, Ausschlag, Flechte oder Hodenquetschung.
Wieso dürfen Menschen mit den oben genannten körperlichen Beeinträchtigungen nicht als unsere Vertreter vor G"tt dienen?
Jitzchak war in seinem hohen Alter blind, nach der oben erwähnten Liste hätte er nicht im Mischkan arbeiten dürfen.
Und Jaakow wurde im Kampf am Fluss Jabok an der Hüfte verletzt, und fing danach an zu hinken.
Der grösste Anführer des jüdischen Volkes, eine der wichtigsten Personen in der Tora, Mosche Rabbeinu hatte eine Sprechbehinderung!
Am Anfang des Sefer Schemot, als G"tt Mosche den Auftrag gibt, die Bne Israel aus Ägypten herauszuführen, protestiert Mosche:
(10) Mosche aber sagte zu G"tt: Herr, ich bin kein Mann von Worten. Ich war es früher nicht und bin es auch nicht, seit du zu deinem Diener redest; schwerfällig sind mein Mund und meine Zunge.
(11) Da sprach G"tt zu ihm: Wer hat dem Menschen einen Mund gemacht, wer macht stumm oder taub oder sehend oder blind? Bin nicht ich es, G"tt?
Die Mischna lautet:
מַתְנִי׳ כֹּהֵן שֶׁיֵּשׁ בְּיָדָיו מוּמִין לֹא יִשָּׂא אֶת כַּפָּיו רַבִּי יְהוּדָה אוֹמֵר אַף מִי שֶׁהָיוּ יָדָיו צְבוּעוֹת סְטֵיס לֹא יִשָּׂא אֶת כַּפָּיו מִפְּנֵי שֶׁהָעָם מִסְתַּכְּלִין בּוֹ:
MISCHNA: Ein Priester, der Gebrechen an den Händen hat, erhebe nicht die Hände [zum Priestersegen]; Rabbi Jehuda sagt, auch dessen Hände mit Waidfarbe beschmutzt sind, erhebe die hände nicht [zum Priestersegen], weil die Leute ihn anschauen würden.
Aber dann kommt die Gemara und nennt zwei wichtige Ausnahmen von dieser Regel.
Ich werde diesen Auszug aus der Gemara aus Zeitgründen nur auf Deutsch vorlesen, aber wenn Sie sich die Originalquellen selbst ansehen möchten, scrollen Sie bitte zur Beschreibung unter dem Video und klicken Sie auf den Link zum Sefaria-Quellenblatt. Dort finden Sie auch den gesamten Wortlaut dieser E-Drascha zum Ausdrucken.
אָמַר רַב הוּנָא זַבְלְגָן לֹא יִשָּׂא אֶת כַּפָּיו וְהָא הַהוּא דַּהֲוָה בְּשִׁיבָבוּתֵיהּ דְּרַב הוּנָא וַהֲוָה פָּרֵיס יְדֵיהּ הָהוּא דָּשׁ בְּעִירוֹ הֲוָה
תַּנְיָא נָמֵי הָכִי זַבְלְגָן לֹא יִשָּׂא אֶת כַּפָּיו וְאִם הָיָה דָּשׁ בְּעִירוֹ מוּתָּר
אָמַר רַבִּי יוֹחָנָן סוֹמֵא בְּאַחַת מֵעֵינָיו לֹא יִשָּׂא אֶת כַּפָּיו וְהָא הַהוּא דַּהֲוָה בְּשִׁיבָבוּתֵיהּ דְּרַבִּי יוֹחָנָן דַּהֲוָה פָּרֵיס יְדֵיהּ הָהוּא דָּשׁ בְּעִירוֹ הֲוָה תַּנְיָא נָמֵי הָכִי סוֹמֵא בְּאַחַת מֵעֵינָיו לֹא יִשָּׂא אֶת כַּפָּיו וְאִם הָיָה דָּשׁ בְּעִירוֹ מוּתָּר:
R. Huna sagte: Der Triefäugige darf die Hände nicht [zum Priestersegen] erheben. Einer war ja aber in der Nachbarschaft R. Hunas, der die Hände [zum Priestersegen] wohl erhob!?
Dieser war in der Stadt bekannt. Ebenso wird auch gelehrt: Der Triefäugige darf nicht die Hände [zum Priestersegen] erheben; ist er in der Stadt bekannt, so darf er dies.
R. Joḥanan sagte: Wer auf einem Auge blind ist, darf die Hände nicht [zum Priestersegen] erheben.
Einer war ja aber in der Nachbarschaft R. Joḥanans, der die Hände wohl [zum Priestersegen] erhob!? Dieser war in der Stadt bekannt. Ebenso wird auch gelehrt: Wer auf einem Auge blind ist, darf nicht die Hände [zum Priestersegen] erheben: ist er in der Stadt bekannt, so darf er dies.
Eine Person, die auf einem Auge blind ist, darf in der Regel - gemäss Gemara - nicht duchenen. Aber wenn diese Person in ihrer Gemeinde bekannt ist und die Gemeinschaft durch die Behinderung nicht gestört oder abgelenkt wird, sondern sie kennen und akzeptieren, dann ist ihre Behinderung nicht mehr relevant.
Und tatsächlich bleiben einige dieser besonderen Ausnahmen, bei denen die körperliche Andersartigkeit eines Kohens ihn nicht von der Durchführung der Birkat Kohanim disqualifiziert, nicht nur Anekdoten oder Nebengeschichten in der Gemara. Vielmehr werden sie im Schulchan Aruch, dem Hauptwerk unserer Halacha, kodifiziert.
מי שיש לו מום בפניו או בידיו כגון שהם בוהקניות או עקומות או עקושות [בוהקניות פירוש מין נגע לבן ורש"י פירש לינטלי"ש בלע"ז. עקומות כפופות. עקושות לצדדיהן והר"ן פי' עקומות שנתעקמה ידו אחורנית. עקושות שאינו יכול לחלק אצבעותיו] לא ישא את כפיו מפני שהעם מסתכלין בו וה"ה למי שיש מומין ברגליו במקום שעולים לדוכן בלא בתי שוקיים וכן מי שרירו יורד על זקנו או שעיניו זולפים דמעות וכן סומא באחד מעיניו לא ישא את כפיו ואם הי' דש בעירו דהיינו שהם רגילים בו ומכירין הכל שיש בו אותו מום ישא כפיו ואפי' הוא סומא בשתי עיניו וכל ששהא בעיר שלשי' יום מקרי דש בעירו ודוקא בעירו אבל אם הולך באקראי לעיר אחרת ושהא שם שלשים יום לא ואפילו לא בא לדור שם להיות מבני העיר אלא בא להיות שם מלמד או סופר או משרת שנה או חצי שנה חשוב דש בעירו בל' יום:
One who has an deformity on his face or his hands, for example albinism, deformed [fingers], or paralyzed [fingers] should not perform the priestly blessing ("bohakniot" means a type of white lesion, and Rashi explains it means spotted (like lentils) in Old French; "akumot" means crooked; "akushot" means bent to the sides. The Ran defines: "akumot" means that his hand is bent backwards, and "akushot" means he is unable to separate his fingers) because the congregation will stare at him. And this is also the rule for one who has an deformity on his feet, in a place where they ascend to the platform without socks. And so it is if he has spittle drooling down his beard, or if his eyes tear up. And similarly, one who is blind in one of his eye should not perform the priestly blessing. However, if he is "broken in" in his city, meaning that they are familiar with him and everyone recognizes that he has this deformity, he may perform the blessing, even if he is blind in both eyes. Anyone who has stayed in the city thirty days is called "broken in in his city," but only in his city — whereas if he goes temporarily to a different city and stays there thirty days, no. Even if he did not come to live in the city to become one of the city residents, but rather to become a schoolteacher or scribe or attendant, for a year or half a year, this is considered "broken in in his city thirty days."
Nehmen wir als Beispiel eine rabbinische Entscheidung von Rav Mosche Feinstein, der wahrscheinlich die führende halachische Autorität im orthodoxen Judentum des 20. Jahrhunderts in Nordamerika war.
In einem Responsum aus dem Jahr 1959 wird er gefragt, ob jemand, der eine Beinprothese hat, Birkat Kohanim ausführen darf. Aus den Pskukim, die wir ganz zu Beginn gelesen haben, ging klar hervor, dass jemand mit einer fehlenden Gliedmasse nicht im Tempel dienen darf.
Dieses Responsum ist daher wirklich faszinierend, weil Rav Moshe Feinstein kaum eine Zeile damit verbringt, darüber zu debattieren, ob das fehlende Bein an sich, die Person disqualifiziert - obschon dies ja das ursprüngliche Problem der Tora war.
Es ist für ihn völlig klar, dass eine Beinprothese ein Merkmal ist, das wir als Gemeinschaft kennen und woran wir umso mehr nach zwei Weltkriegen leider gewöhnt sind. Was sich in den 2000 Jahren seit der Mischna verändert hat, ist nicht der Körper an sich, sondern die moderne Medizin mit dem Fachbereich der Orthopädie und wie wir als Gesellschaft damit umgehen.
Der einzige Diskussionsgegenstand in seiner Tschuwa ist die technische Frage, ob diese Kohanim ihre Schuhe am Prothesenbein anbehalten dürfen, da sie, wie wir wissen, ihre Schuhe normalerweise während dem Duchenen ausziehen.
Die schwierigen Psukim aus unserer Parascha im Lichte der halachischen Debatte über Duchenen zu lesen, bringt starke Fragen hervor. Wenn wir die obige Gemara, den Schulchan Aruch und Rav Moshe Feinstein ernst nehmen, dann lautet die Frage nicht mehr: "Warum hat G"tt Menschen mit körperlichen Behinderungen von den Pflichten des Priestertums ausgeschlossen?", sondern vielmehr: "Sind wir tolerant und offen genug, um uns nicht von der Behinderung eines Kohens ablenken zu lassen, sondern ihn als vollkommen würdig zu betrachten?"
Eine technische und die andere, fundamentaler Natur.
An vielen anderen Stellen, scheut sich die Tora nicht, uns hochgesteckte Ideale anstreben zu lassen, warum macht sie hier Kompromisse auf Kosten von Menschen mit Behinderung?!
Ich habe mir zu diesem Thema schon viele Gedanken gemacht, aber bisher noch keine Antwort gefunden, die mich wirklich befriedigt. Deshalb möchte ich die Spannung dieser Fragen bewusst benennen, im Wissen, das wir damit leben müssen.
Denn anstatt die Gemeinschaft als passive Zeugen des Ausschlusses zu sehen, ermächtigt uns die Halacha, selbst zu definieren, was einen Kohen qualifiziert. Das einzige, was unsere Inklusion in dieser Frage begrenzt, sind die Grenzen, die wir uns selbst setzen.
Schabbat Schalom!
