Paraschat Wa'era: Was hat der Auszug aus Ägypten mit der Schöpfungsgeschichte zu tun?
Ganz am Anfang der Parascha von letzter Woche, Paraschat Sch'mot, lasen wir:

וּבְנֵ֣י יִשְׂרָאֵ֗ל פָּר֧וּ וַֽיִּשְׁרְצ֛וּ וַיִּרְבּ֥וּ וַיַּֽעַצְמ֖וּ בִּמְאֹ֣ד מְאֹ֑ד וַתִּמָּלֵ֥א הָאָ֖רֶץ אֹתָֽם׃

Die Kinder Israels waren fruchtbar, regten und mehrten sich und wurden so zahlreich, dass das Land von ihnen voll wurde.

Wenn man noch Bereschit, das vorige Buch Mose im Kopf hat, kommt man nicht umhin, in diesem Satz Echos zur Schöpfungsgeschichte zu hören.
Tatsächlich lasen wir ganz am Anfang des Buchs Bereschit:

וַיְבָ֣רֶךְ אֹתָם֮ אֱלֹקִים֒ וַיֹּ֨אמֶר לָהֶ֜ם אֱלֹקִ֗ים פְּר֥וּ וּרְב֛וּ וּמִלְא֥וּ אֶת־הָאָ֖רֶץ וְכִבְשֻׁ֑הָ ...

Und Gott segnete sie; und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehrt euch und füllt die Erde und macht sie euch untertan ...

In diesem Vers von Bereschit und dem vorigen Vers von Sch'mot, widerspiegeln sich die Wörter:
  • fruchtbar sein,
  • sich vermehren,
  • und die Erde füllen.
Auch weitere solche Anspielungen zum ersten Kapitel der Tora hallen in der Parascha von dieser Woche, Paraschat Wa'era wider.
Während des Wettkampfs zwischen Mosche & Aharon mit den Zauberern Pharaos, zum Beispiel: In diesem Wettkampf geht es darum, dass Aharon und die Zauberer ihre Stäbe in ein Tier namens Tanin verwandeln.

(ט) כִּי֩ יְדַבֵּ֨ר אֲלֵכֶ֤ם פַּרְעֹה֙ לֵאמֹ֔ר תְּנ֥וּ לָכֶ֖ם מוֹפֵ֑ת וְאָמַרְתָּ֣ אֶֽל־אַהֲרֹ֗ן קַ֧ח אֶֽת־מַטְּךָ֛ וְהַשְׁלֵ֥ךְ לִפְנֵֽי־פַרְעֹ֖ה יְהִ֥י לְתַנִּֽין׃ (י) וַיָּבֹ֨א מֹשֶׁ֤ה וְאַהֲרֹן֙ אֶל־פַּרְעֹ֔ה וַיַּ֣עַשׂוּ כֵ֔ן כַּאֲשֶׁ֖ר צִוָּ֣ה ה' וַיַּשְׁלֵ֨ךְ אַהֲרֹ֜ן אֶת־מַטֵּ֗הוּ לִפְנֵ֥י פַרְעֹ֛ה וְלִפְנֵ֥י עֲבָדָ֖יו וַיְהִ֥י לְתַנִּֽין׃ (יא) וַיִּקְרָא֙ גַּם־פַּרְעֹ֔ה לַֽחֲכָמִ֖ים וְלַֽמְכַשְּׁפִ֑ים וַיַּֽעֲשׂ֨וּ גַם־הֵ֜ם חַרְטֻמֵּ֥י מִצְרַ֛יִם בְּלַהֲטֵיהֶ֖ם כֵּֽן׃ (יב) וַיַּשְׁלִ֙יכוּ֙ אִ֣ישׁ מַטֵּ֔הוּ וַיִּהְי֖וּ לְתַנִּינִ֑ם וַיִּבְלַ֥ע מַטֵּֽה־אַהֲרֹ֖ן אֶת־מַטֹּתָֽם׃

(9) Wenn der Pharao zu euch sagen wird: Tut ein Zeichen, um euch auszuweisen!, so sollst du zu Aaron sagen: Nimm deinen Stab und wirf ihn vor den Pharao hin! — dann wird er zur Schlange werden. (10) Da gingen Mose und Aaron zum Pharao und handelten genau so, wie der HERR es ihnen geboten hatte. Und Aaron warf seinen Stab vor den Pharao und vor seine Knechte hin, und er wurde zur Schlange. (11) Da rief der Pharao die Weisen und Zauberkundigen. Und auch die ägyptischen Zauberer taten dasselbe mit ihren Zauberkünsten. (12) Und jeder warf seinen Stab hin, und es wurden Schlangen daraus; aber Aarons Stab verschlang ihre Stäbe.

Und in der Schöpfungsgeschichte sind diese Taninim die einzige Tierart, die in der Erzählung namentlich erwähnt werden.

וַיִּבְרָ֣א אֱלֹקִ֔ים אֶת־הַתַּנִּינִ֖ם הַגְּדֹלִ֑ים וְאֵ֣ת כָּל־נֶ֣פֶשׁ הַֽחַיָּ֣ה ׀ הָֽרֹמֶ֡שֶׂת אֲשֶׁר֩ שָׁרְצ֨וּ הַמַּ֜יִם לְמִֽינֵהֶ֗ם וְאֵ֨ת כָּל־ע֤וֹף כָּנָף֙ לְמִינֵ֔הוּ וַיַּ֥רְא אֱלֹקִ֖ים כִּי־טֽוֹב׃

Und Gott schuf die großen Taninim und alle lebenden Wesen, die sich regen, von denen das Wasser wimmelt, nach ihrer Art, dazu allerlei Vögel mit Flügeln nach ihrer Art. Und Gott sah, dass es gut war.

Diese linguistischen Parallelen setzen sich in der Erzählung der ersten sieben Plagen fort, die das zentrale Thema unserer Parascha sind.
So werden zum Beispiel die Gewässer Ägyptens als "מִקְוֵ֥ה מַּ֖יִם" bezeichnet,

וַיֹּ֨אמֶר ה' אֶל־מֹשֶׁ֗ה אֱמֹ֣ר אֶֽל־אַהֲרֹ֡ן קַ֣ח מַטְּךָ֣ וּנְטֵֽה־יָדְךָ֩ עַל־מֵימֵ֨י מִצְרַ֜יִם עַֽל־נַהֲרֹתָ֣ם ׀ עַל־יְאֹרֵיהֶ֣ם וְעַל־אַגְמֵיהֶ֗ם וְעַ֛ל כָּל־מִקְוֵ֥ה מֵימֵיהֶ֖ם וְיִֽהְיוּ־דָ֑ם וְהָ֤יָה דָם֙ בְּכָל־אֶ֣רֶץ מִצְרַ֔יִם וּבָעֵצִ֖ים וּבָאֲבָנִֽים׃

Und G"tt sprach zu Mose: Sage zu Aaron: Nimm deinen Stab und strecke deine Hand aus über die Wasser in Ägypten, über seine Nilarme, über seine Kanäle und über seine Sümpfe und über alle Sammlungen von Wasser, dass sie zu Blut werden und dass im ganzen Land Ägypten Blut sei, selbst in den hölzernen und steinernen [Gefäßen].

eine Kennzeichnung, die auf die Schaffung der Erde am dritten Tag von Bereschit anspielt.

וַיִּקְרָ֨א אֱלֹקִ֤ים ׀ לַיַּבָּשָׁה֙ אֶ֔רֶץ וּלְמִקְוֵ֥ה הַמַּ֖יִם קָרָ֣א יַמִּ֑ים וַיַּ֥רְא אֱלֹקִ֖ים כִּי־טֽוֹב׃

Und Gott nannte das Trockene "Erde"; aber die Sammlung der Wasser nannte er "Meer". Und Gott sah, dass es gut war.

In der zweiten Plage wird die Verbreitung der Frösche mit dem Verb "וְשָׁרַ֣ץ" beschrieben,

וְשָׁרַ֣ץ הַיְאֹר֮ צְפַרְדְּעִים֒ וְעָלוּ֙ וּבָ֣אוּ בְּבֵיתֶ֔ךָ וּבַחֲדַ֥ר מִשְׁכָּבְךָ֖ וְעַל־מִטָּתֶ֑ךָ וּבְבֵ֤ית עֲבָדֶ֙יךָ֙ וּבְעַמֶּ֔ךָ וּבְתַנּוּרֶ֖יךָ וּבְמִשְׁאֲרוֹתֶֽיךָ׃

und der Nil wird von Fröschen wimmeln; die sollen heraufkommen in dein Haus und in deine Schlafkammer und auf dein Bett; auch in die Häuser deiner Knechte, unter dein Volk, in deine Backöfen und in deine Backtröge;

wiederum eine Formulierung, die in der Schöpfungsgeschichte auffällt. Am fünften Tag heisst es tatsächlich:

וַיֹּ֣אמֶר אֱלֹקִ֔ים יִשְׁרְצ֣וּ הַמַּ֔יִם שֶׁ֖רֶץ נֶ֣פֶשׁ חַיָּ֑ה וְעוֹף֙ יְעוֹפֵ֣ף עַל־הָאָ֔רֶץ עַל־פְּנֵ֖י רְקִ֥יעַ הַשָּׁמָֽיִם׃

Und Gott sprach: Das Wasser soll wimmeln von einer Fülle lebender Wesen, und es sollen Vögel dahinfliegen über die Erde an der Himmelsausdehnung!

Und diese Parallelen hören in unserem Wochenabschnitt nicht auf. Sie setzen sich in der Parascha von nächster Woche, Paraschat Bo, fort; in der Plage der Finsternis.

(כא) וַיֹּ֨אמֶר ה' אֶל־מֹשֶׁ֗ה נְטֵ֤ה יָֽדְךָ֙ עַל־הַשָּׁמַ֔יִם וִ֥יהִי חֹ֖שֶׁךְ עַל־אֶ֣רֶץ מִצְרָ֑יִם וְיָמֵ֖שׁ חֹֽשֶׁךְ׃ (כב) וַיֵּ֥ט מֹשֶׁ֛ה אֶת־יָד֖וֹ עַל־הַשָּׁמָ֑יִם וַיְהִ֧י חֹֽשֶׁךְ־אֲפֵלָ֛ה בְּכָל־אֶ֥רֶץ מִצְרַ֖יִם שְׁלֹ֥שֶׁת יָמִֽים׃ (כג) לֹֽא־רָא֞וּ אִ֣ישׁ אֶת־אָחִ֗יו וְלֹא־קָ֛מוּ אִ֥ישׁ מִתַּחְתָּ֖יו שְׁלֹ֣שֶׁת יָמִ֑ים וּֽלְכָל־בְּנֵ֧י יִשְׂרָאֵ֛ל הָ֥יָה א֖וֹר בְּמוֹשְׁבֹתָֽם׃

(21) Und G"tt sprach zu Mose: Strecke deine Hand aus zum Himmel, damit es im Land Ägypten so finster wird, dass man die Finsternis greifen kann! (22) Da streckte Mose seine Hand zum Himmel aus. Und es kam eine dichte Finsternis im ganzen Land Ägypten, drei Tage lang, (23) sodass während drei Tagen niemand den anderen sehen konnte, noch jemand von seinem Platz aufstehen konnte. Aber alle Kinder Israels hatten Licht in ihren Wohnungen.

וַיַּ֧רְא אֱלֹקִ֛ים אֶת־הָא֖וֹר כִּי־ט֑וֹב וַיַּבְדֵּ֣ל אֱלֹקִ֔ים בֵּ֥ין הָא֖וֹר וּבֵ֥ין הַחֹֽשֶׁךְ׃

Und Gott sah, dass das Licht gut war; da schied Gott das Licht von der Finsternis.

Auch im darauf folgenden Abschnitt, Paraschat Beschalach, erinnert die Sprache bei der Spaltung des Meeres an die Erschaffung der Erde.

(כא) וַיֵּ֨ט מֹשֶׁ֣ה אֶת־יָדוֹ֮ עַל־הַיָּם֒ וַיּ֣וֹלֶךְ ה' ׀ אֶת־הַ֠יָּם בְּר֨וּחַ קָדִ֤ים עַזָּה֙ כָּל־הַלַּ֔יְלָה וַיָּ֥שֶׂם אֶת־הַיָּ֖ם לֶחָרָבָ֑ה וַיִּבָּקְע֖וּ הַמָּֽיִם׃ (כב) וַיָּבֹ֧אוּ בְנֵֽי־יִשְׂרָאֵ֛ל בְּת֥וֹךְ הַיָּ֖ם בַּיַּבָּשָׁ֑ה וְהַמַּ֤יִם לָהֶם֙ חֹמָ֔ה מִֽימִינָ֖ם וּמִשְּׂמֹאלָֽם׃

(21) Als nun Mose seine Hand über das Meer ausstreckte, da trieb der HERR das Meer die ganze Nacht durch einen starken Ostwind hinweg; und er machte das Meer zu trockenem Land, und die Wasser teilten sich. (22) Und die Kinder Israels gingen mitten in das Meer hinein auf dem Trockenen, und das Wasser war ihnen wie eine Mauer zu ihrer Rechten und zu ihrer Linken.

(ו) וַיֹּ֣אמֶר אֱלֹקִ֔ים יְהִ֥י רָקִ֖יעַ בְּת֣וֹךְ הַמָּ֑יִם וִיהִ֣י מַבְדִּ֔יל בֵּ֥ין מַ֖יִם לָמָֽיִם׃ (ז) וַיַּ֣עַשׂ אֱלֹקִים֮ אֶת־הָרָקִיעַ֒ וַיַּבְדֵּ֗ל בֵּ֤ין הַמַּ֙יִם֙ אֲשֶׁר֙ מִתַּ֣חַת לָרָקִ֔יעַ וּבֵ֣ין הַמַּ֔יִם אֲשֶׁ֖ר מֵעַ֣ל לָרָקִ֑יעַ וַֽיְהִי־כֵֽן׃ (ח) וַיִּקְרָ֧א אֱלֹקִ֛ים לָֽרָקִ֖יעַ שָׁמָ֑יִם וַֽיְהִי־עֶ֥רֶב וַֽיְהִי־בֹ֖קֶר י֥וֹם שֵׁנִֽי׃ (פ) (ט) וַיֹּ֣אמֶר אֱלֹקִ֗ים יִקָּו֨וּ הַמַּ֜יִם מִתַּ֤חַת הַשָּׁמַ֙יִם֙ אֶל־מָק֣וֹם אֶחָ֔ד וְתֵרָאֶ֖ה הַיַּבָּשָׁ֑ה וַֽיְהִי־כֵֽן׃

(6) Und Gott sprach: Es werde eine Ausdehnung inmitten der Wasser, die bilde eine Scheidung zwischen den Wassern! (7) Und Gott machte die Ausdehnung und schied das Wasser unter der Ausdehnung von dem Wasser über der Ausdehnung. Und es geschah so. (8) Und Gott nannte die Ausdehnung Himmel. Und es wurde Abend, und es wurde Morgen: der zweite Tag. (9) Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an einen Ort, damit man das Trockene sehe! Und es geschah so.

Kurz gesagt: Die Geschichte des Auszugs aus Ägypten bietet kleine Rückblenden auf die Schöpfungsgeschichte, die überall in der Exodus-Erzählung eingestreut sind, und insbesondere in der Geschichte der Plagen.
Doch nachdem wir diese Parallelen festgestellt haben, müssen wir uns noch fragen: Was hat der Auszug aus Ägypten überhaupt mit der Schöpfungsgeschichte zu tun?
Diese Frage kann man zunächst einmal auf einer rein narrativen Ebene beantworten. Was hier stattfindet, ist eigentlich ein Aufeinanderprallen: G"tt muss den Ägyptern

(ד) וְלֹֽא־יִשְׁמַ֤ע אֲלֵכֶם֙ פַּרְעֹ֔ה וְנָתַתִּ֥י אֶת־יָדִ֖י בְּמִצְרָ֑יִם וְהוֹצֵאתִ֨י אֶת־צִבְאֹתַ֜י אֶת־עַמִּ֤י בְנֵֽי־יִשְׂרָאֵל֙ מֵאֶ֣רֶץ מִצְרַ֔יִם בִּשְׁפָטִ֖ים גְּדֹלִֽים׃ (ה) וְיָדְע֤וּ מִצְרַ֙יִם֙ כִּֽי־אֲנִ֣י ה' בִּנְטֹתִ֥י אֶת־יָדִ֖י עַל־מִצְרָ֑יִם וְהוֹצֵאתִ֥י אֶת־בְּנֵֽי־יִשְׂרָאֵ֖ל מִתּוֹכָֽם׃

(4) Und der Pharao wird nicht auf euch hören, sodass ich meine Hand an Ägypten legen und mein Heer, mein Volk, die Kinder Israels, durch große Gerichte aus dem Land Ägypten führen werde. (5) Und die Ägypter sollen erfahren, dass ich der HERR bin, wenn ich meine Hand über Ägypten ausstrecke und die Kinder Israels herausführe aus ihrer Mitte.

(und vielleicht auch, den Bnei Israel)

וַיַּ֨רְא יִשְׂרָאֵ֜ל אֶת־הַיָּ֣ד הַגְּדֹלָ֗ה אֲשֶׁ֨ר עָשָׂ֤ה ה' בְּמִצְרַ֔יִם וַיִּֽירְא֥וּ הָעָ֖ם אֶת־ה' וַיַּֽאֲמִ֙ינוּ֙ בַּֽה' וּבְמֹשֶׁ֖ה עַבְדּֽוֹ׃

Da sah Israel die mächtige Hand, mit welcher der HERR an den Ägyptern gehandelt hatte; und das Volk fürchtete den HERRN, und sie glaubten an den HERRN und an seinen Knecht Mose.

"beweisen", dass Er mächtiger als alle Götzen der Ägypter ist, dass Er der richtige Herr der Welt ist, und nicht Pharao - damit Pharao das Volk Israel gehen lässt.
Und wie kann G"tt dies besser beweisen, als indem Er zeigt, dass Er der Schöpfer der Welt ist? Und wie kann G"tt besser beweisen, dass Er der Schöpfer der Welt ist, als indem Er seine eigene Schöpfung rückgängig macht?
Im Laufe der 10 Plagen zerstört G"tt tatsächlich eins nach dem anderen alle Elemente der Natur, die Er geschaffen hat:
  • die Wassertiere sterben in der Plage des Blutes,
  • das Landvieh stirbt in der Viehpest,
  • die Pflanzenwelt wird von Hagel und Heuschrecken zerstört,
  • und als vorletzter Schritt stürzt G"tt die Ägypter in die Finsternis, in einen Zustand, in dem die Welt war, bevor G"tt als erster Akt der Schöpfung, das Licht erschuf.
Doch dienen diese Echos zur Schöpfungsgeschichte nur diesem narrativen Nutzen?
Ich möchte vorschlagen, dass es in diesem Aufprall zwischen G"tt und Mosche auf einer Seite, und Pharao auf der anderen, nicht nur um einen Freiheitskampf für das Volk Israel geht, sondern auch um die Darstellung zweier entgegengesetzter Weltanschauungen: jene Pharaos, und jene G"ttes.
Machen wir einen kleinen Umweg durch den Midrasch:
Die zwei ersten Makkot, die Plage des Blutes und die Plage der Frösche, sollen initiiert werden, indem man ein Stab über das Nilwasser erhebt. Doch erstaunlicherweise befiehlt G"tt nicht Mosche, dies zu tun, sondern seinem Bruder Aharon.
Der Midrasch in Sch'mot Rabba erklärt dies folgender Weise:

(י) וַיֹּאמֶר ה' אֶל משֶׁה אֱמֹר אֶל אַהֲרֹן, אָמַר רַבִּי תַּנְחוּם לָמָּה לֹא לָקוּ הַמַּיִם עַל יְדֵי משֶׁה, אָמַר לוֹ הַקָּדוֹשׁ בָּרוּךְ הוּא הַמַּיִם שֶׁשְּׁמָרוּךָ כְּשֶׁהֻשְׁלַכְתָּ לַיְאוֹר אֵינוֹ דִין שֶׁיִּלְקוּ עַל יָדֶךָ, חַיֶּיךָ לֹא יִלְקוּ אֶלָּא עַל יְדֵי אַהֲרֹן.

Sagte Rabbi Tanchum:

Wieso wurden die Gewässer nicht von Mosche geschlagen?

Weil G"tt zu Mosche sagte: "dieses Gewässer hat dich am Leben erhalten als du in den Nil geworfen wurdest - es ist nicht gerecht, dass du es schlägst. Nur von Aharon soll es geschlagen werden!"

In anderen Worten: Als Pharao befohlen hatte, dass alle männliche Neugeborenen in den Nil geworfen werden sollen, wurdest du in einen Korb am Ufer des Nils gesetzt. Dieses Gewässer, in dem dein Korb schwamm hat dein Leben gerettet, und sogar einem Gewässer muss man dankbar sein. Deshalb darfst du den Nil jetzt nicht schlagen.
Dieser Midrasch ist überraschend, weil er uns in unserem Verständnis der Dankbarkeit herausfordert:
Normalerweise, verstehen wir Dankbarkeit als etwas Zwischenmenschliches:
- Ich bin meinem Mitmenschen für etwas dankbar - aber nicht einem leblosen Objekt, das keine Gefühle hat?!
Doch hier bringt G"tt Mosche bei, dass man sogar einem unbeseelten Gebilde, wie etwa einem Fluss (dem Nil) Dankbarkeit zeigen soll.
Diese Einstellung, die G"tt gemäss diesem Midrasch Mosche beibringt, steht im starken Kontrast zur Einstellung Pharaos, die in den Wörtern Jecheskels aus der Haftara dieser Woche wie folgt beschrieben wird:

(ג) דַּבֵּ֨ר וְאָמַרְתָּ֜ כֹּֽה־אָמַ֣ר ׀ אדושם ה' הִנְנִ֤י עָלֶ֙יךָ֙ פַּרְעֹ֣ה מֶֽלֶךְ־מִצְרַ֔יִם הַתַּנִּים֙ הַגָּד֔וֹל הָרֹבֵ֖ץ בְּת֣וֹךְ יְאֹרָ֑יו אֲשֶׁ֥ר אָמַ֛ר לִ֥י יְאֹרִ֖י וַאֲנִ֥י עֲשִׂיתִֽנִי׃

Rede und sprich: So spricht G"tt, der Herr: Siehe, ich komme über dich, Pharao, du König von Ägypten, du grosses Seeungeheuer, das mitten in seinem Strom liegt und spricht: »Der Nil ist mein und ich habe ihn mir gemacht.«

Wenn wir diese Psukim aus Jecheskel mit dem oben genannten Midrasch vergleichen, zeichnen sich zwei diametral entgegengesetzte Verhältnisse zur Welt und zur Schöpfung ab.
Einerseits, das Verhältnis Pharaos zum Nil: Pharao versteht den Nil als sein Geschöpf, sein Eigentum, und von dem her wahrscheinlich auch als etwas, was er nach Belieben kontrollieren, benutzen und sogar schlagen darf.
Andererseits, das Verhältnis Mosches zum Nil: G"tt bringt Mosche bei, den Nil nicht nur als "Objekt" zu sehen, sondern als Fluss, mit dem er eine Beziehung aufgebaut hat. Die Tatsache, dass dieses Gewässer ihm das Leben gerettet hat, auch wenn viele andere Neugeborene seiner Generation in ihm ertranken, soll nicht unbedeutend sein. So versteht Mosche den Nil als Naturerscheinung, die er nie "besitzen" wird, die er nicht schlagen darf, sondern der er Dankbarkeit schuldet.
Der Zusammenhang zwischen der Geschichte der Schöpfung und der Geschichte des Auszugs aus Ägypten, erscheint nicht nur in den sprachlichen Parallelen, die ich am Anfang beschrieben habe. Wir erwähnen diesen Zusammenhang zum Beispiel auch jeden Freitagabend im Kiddusch:

...

בָּרוּךְ אַתָּה ה' אֱלקֵינוּ מֶלֶךְ הָעולָם. אֲשֶׁר קִדְּשָׁנוּ בְּמִצְותָיו וְרָצָה בָנוּ. וְשַׁבַּת קָדְשׁו בְּאַהֲבָה וּבְרָצון הִנְחִילָנוּ. זִכָּרון לְמַעֲשֵׂה בְרֵאשִׁית. כִּי הוּא יום תְּחִלָּה לְמִקְרָאֵי קדֶשׁ זֵכֶר לִיצִיאַת מִצְרָיִם. כִּי בָנוּ בָחַרְתָּ וְאותָנוּ קִדַּשְׁתָּ מִכָּל הָעַמִּים וְשַׁבַּת קָדְשְׁךָ בְּאַהֲבָה וּבְרָצון הִנְחַלְתָּנוּ:

בָּרוּךְ אַתָּה ה'. מְקַדֵּשׁ הַשַּׁבָּת:

...

Gelobt seist du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, der du uns durch deine Gebote geheiligt, uns erwählt hast und deinen heiligen Schabbat in Liebe und Wohlgefallen uns zum Anteil gegeben hast als Gedenken des Schöpfungswerkes. Er ist der erste Tag der heiligen Feste, eine Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. Uns hast du auserwählt, uns geheiligt von allen Nationen, und deinen heiligen Schabbat hast du uns in Liebe und Wohlgefallen zum Anteil gegeben. Gelobt seist du, Ewiger, der du den Schabbat geheiligt.

und vielleicht ist dieser Zusammenhang, den wir sowohl in unserer Parascha wie auch im Kiddusch finden eine Gelegenheit, gerade am Schabbat, über unsere Beziehung zur Schöpfung nachzudenken:
Inwiefern betrachte ich manchmal die Welt wie Pharao: als ob sie allein mir gehöre, als ob ich sie völlig kontrollieren könne, konsumieren dürfe, und alle Rechte über sie hätte?
Und inwiefern betrachte ich die Welt wie Mosche: als eine göttliche Schöpfung, die nicht mir gehört, sondern die ich bewundere, und der ich Respekt und Dankbarkeit schulde.
Schabbat Schalom.