Paraschat Korach: Welche Bracha soll man über die Covid-19-Impfung sagen?

In der Parascha dieser Woche, Paraschat Korach, entfesselt G"tt eine Plage über die Israeliten, als Strafe für ihre Rebellion.

Das Wort für Plage, das in der Tora benutzt wird, ist Magefa - ein Wort, das uns in diesen Zeiten im modernen Hebräisch nur allzu bekannt vorkommt, denn es bedeutet "Epidemie" oder "Pandemie".

Wir lesen diesen Schabbat:

(יג) וַיַּעֲמֹ֥ד בֵּֽין־הַמֵּתִ֖ים וּבֵ֣ין הַֽחַיִּ֑ים וַתֵּעָצַ֖ר הַמַּגֵּפָֽה׃ (יד) וַיִּהְי֗וּ הַמֵּתִים֙ בַּמַּגֵּפָ֔ה אַרְבָּעָ֥ה עָשָׂ֛ר אֶ֖לֶף וּשְׁבַ֣ע מֵא֑וֹת מִלְּבַ֥ד הַמֵּתִ֖ים עַל־דְּבַר־קֹֽרַח׃ (טו) וַיָּ֤שׇׁב אַהֲרֹן֙ אֶל־מֹשֶׁ֔ה אֶל־פֶּ֖תַח אֹ֣הֶל מוֹעֵ֑ד וְהַמַּגֵּפָ֖ה נֶעֱצָֽרָה׃

(13) Er (Aharon) trat zwischen die Toten und die Lebenden und da hörte die Plage auf.
(14) Durch die Plage waren 14'700 Menschen gestorben, abgesehen von denen, die wegen Korach umgekommen waren.
(15) Darauf kehrte Aharon zu Mosche an den Eingang des Offenbarungszeltes zurück; die Plage hatte aufgehört.

Letztes Jahr erlebten wir zum ersten Mal für die meisten unserer Generation eine echte Plage, die unser aller Leben auf den Kopf stellte. Doch nun stehen wir an einem Punkt, ähnlich jenem in Paraschat Korach, wo sich das Ende dieser Plage abzeichnet.

Die ersten Tage der Pandemie brachten eine Menge schwieriger und teils schmerzhafter Fragen auch in unsere jüdischen Leben:

  • Darf man an Purim die Megilla auch live über YouTube hören, wenn man zu einer Risikogruppe gehört?
  • Wir diskutierten darüber, ob Zoom am Jontev gebraucht werden darf - v.a. am Sederabend, damit viele nicht 3 Tage alleine feiern müssen.
  • Wie kann man mit Schutzkonzept ein Minjan zusammenstellen, z.B. auf dem Balkon oder über Zoom? Und wer darf in der Synagoge beten, wenn die BAG-Vorschriften nur maximal 50 Personen erlauben?
  • Es gab auch Fragen zu Mikwe und Quarantäne, Tahara bei Corona-Toten und so weiter ...

All dies hat uns in den vergangenen Monaten sehr beschäftigt.

Doch Baruch Haschem, mit der Verteilung der Covid-Impfungen ist eine neue heisse halachische Frage aufgetaucht, die eine viel glücklichere und schönere ist - nämlich jene, ob und wenn ja, welche Bracha man nach dem Erhalt des Corona-Impfstoffs sagen soll?


Anstatt von einem Gefühl der Einschränkung, des Schmerzes und der Isolation zu kommen, gründet diese Frage in positiver Aufregung, der Erwartung und der Dankbarkeit endlich einen Ausgang aus dieser Situation zu ahnen.

Für einige der Zuhörer mag diese Frage von geringerer praktischer Relevanz sein, da sie schon zweifach geimpft sind. Aber ich wurde inspiriert, über dieses Thema zu sprechen, weil ich gerade zwischen beiden Impfungen stecke wie auch viele in meinem Bekanntenkreis.

Natürlich kann ich hier keine vollständige Analyse dieser halachisch hochaktuellen Frage geben. Und es gibt zahlreiche Argumente und Responsen, die sich mit den unterschiedlichsten Aspekten beschäftigen wie die Hilchot Brachot, die Benutzung des g"ttlichen Namens, aber auch die immerwährende Frage nach der "Awoda schebaLew" - dem G"ttesdienst im Herzen - welchen wir mit unseren ureigenen Worten, ganz persönlich und eben nicht genormt oder institutionalisiert sagen.

Doch lassen Sie uns ein paar der wichtigsten Ansätze für Impf-Brachot gemeinsam anschauen. Wie immer, finden Sie alle Quellen, die ich zitiere, im Sefaria-Quellenblatt, das unten, in der Beschreibung des Videos verlinkt ist. Dort sind auch weiterführende Links zu Schiurim und Responsen zu diesem Thema.

Schehechejanu

Also: welche Bracha soll man nach dem Erhalt des Covid-Impfstoffs sagen?

Die naheliegendste Wahl wäre Schehechejanu zu sagen. Die Bracha, welche bei gelegentlichen Ereignissen, die Dankbarkeit in uns auslösen, rezitiert wird (z.B. beim Kauf neuer Möbel, Essen neuer Früchte, bei verschiedenen Chagim und bei wichtigem Regen, der auf das eigene Feld fällt)

In der Tat argumentiert z. B. Raw Yosef Zvi Rimon (Rosch Jeschiwa des Lev Academic Centers JCT), sowie Gemeinderabbiner von Alon Schwut Süd) in einem Responsum, dass Schehechejanu die geeignetste Bracha für dieses Ereignis sei.

HaTow weHaMetiw

Andere rabbinische Autoritäten bestreiten seine Entscheidung. Sie beziehen sich auf die folgende Gemara in Massechet Brachot 59b:

וְהָא תְּנַן: בָּנָה בַּיִת חָדָשׁ, וְקָנָה כֵּלִים חֲדָשִׁים, אוֹמֵר: ״בָּרוּךְ … שֶׁהֶחֱיָינוּ וְהִגִּיעָנוּ לַזְּמַן הַזֶּה״. שֶׁלּוֹ וְשֶׁל אֲחֵרִים — אוֹמֵר: ״הַטּוֹב וְהַמֵּטִיב״? לָא קַשְׁיָא: הָא דְּאִית לֵיהּ שׁוּתָּפוּת, הָא דְּלֵית לֵיהּ שׁוּתָּפוּת.

וְהָתַנְיָא: קׇצְרוֹ שֶׁל דָּבָר, עַל שֶׁלּוֹ הוּא אוֹמֵר: ״בָּרוּךְ … שֶׁהֶחֱיָינוּ וְקִיְּימָנוּ״, עַל שֶׁלּוֹ וְעַל שֶׁל חֲבֵירוֹ — אוֹמֵר: ״בָּרוּךְ … הַטּוֹב וְהַמֵּטִיב״.

Wir haben ja gelernt, dass, wer ein neues Haus gebaut oder neue Sachen gekauft hat, Schehechijanu spreche, und dass man über das, was ihm und anderen gehört, haTov veHaMetiv spreche!?

Das ist kein Widerspruch; dieser hat Mitbeteiligte, jener hat keine Mitbeteiligte.

Es wird auch gelehrt: Kurz gefasst: Über das, wovon man allein geniesst, spreche man: Schehechijanu, und über das, wovon man selber und auch sein Nächster geniesst, spreche man: haTov veHaMetiv.

Und so wird auch im Schulchan Aruch entschieden.

"haTov veHaMetiv" - "der gut ist und Gutes bewirkt" sollte rezitiert werden, wenn ein Ereignis von mehreren Menschen geteilt wird (z.B. Regen, der auf ein gemeinsames Feld fällt, ein Ehepaar, das Möbel kauft oder neuer Wein, der auf den Esstisch gebracht wird).

Das Empfangen eines Impfstoffs ist sowohl von persönlichem als auch von öffentlichem gesundheitlichem Nutzen. Es betont den wechselseitigen Nutzen: Es ist gut für mich, geimpft und damit immun zu werden, aber es ist auch gut für alle anderen, denn dadurch, dass ich geimpft bin, sind sie besser geschützt - Stichwort: Herdenimmunität.

So argumentiert Rabbi Dov Linzer (Rosch HaYeshiva der Yeshivat Chovevei Torah) in seinem Responsum und diese Bracha hat Rabbi Hershel Schachter, von der Yeshiva University, als er geimpft wurde, gesprochen.

"I believe that this case, unlike so many others in classic literature, is one in which the person receiving the benefit feels genuine joy not just for herself, but for all of society. This is reinforced by the fact that the receiving of the vaccine happens in settings where many people are receiving it together and where there is a system set up to administer the vaccine. One feels in such settings that the joy she is receiving is shared by others, and the joy that others are receiving is shared by her. HaTov would be – in my opinion – the preferred blessing to be recited."

Rabbi Dov Linzer in Should I Make a Brakha When Receiving the COVID-19 Vaccine?

Es gibt aber auch Meinungen, die sich vor einer sogenannten Bracha lewatala fürchten.

Das ist eine Bracha, die den g"ttichen Namen enthält, aber vergeblich gesagt wird - d.h. sie wird ohne Grund gesagt, oder ihr Zweck wird nicht erfüllt.

Da es keinen halachischen Präzedenzfall für eine Bracha nach dem Erhalt eines Impfstoffs gibt, argumentieren sie, ist es möglicherweise nicht angemessen, in diesem Fall eine Bracha mit dem Namen G"ttes auszusprechen.

Jehi Ratzon

Aus diesem Grund pasken manche Rabbiner, sollte man lieber, statt einer Bracha, ein Jehi Ratzon, ein kurzes Bittgebet sprechen. Diese Option erwähnt auch Rav Tzvi Rimon, den ich vorher erwähnt habe, und Raw Shmuel Elijahu (Rabbiner der Stadt Zfat) verfasste sogar ein spezielles Jehi Ratzon, das vor dem Erhalt der Impfung zu sagen ist.

Im Quellenblatt auf Sefaria finden Sie alle diese Gebete.

    נוסח התפילה

    מודִים אֲנַחְנוּ לָךְ ה' אֱלהֵינוּ וֵאלהֵי אֲבותֵינוּ אֱלהֵי כָל בָּשָׂר. בּוֹרֵא רְפוּאוֹת. שאַתָּה חונֵן לְאָדָם דַּעַת וּמְלַמֵּד לֶאֱנושׁ בִּינָה לִמְצֹא וּלְהַמְצִיא חִסּוּן לַמַּגֵּפָה. יְהִי רָצוֹן מִלְּפָנֶיךָ שֶׁהַחִסּוּן הַזֶּה יִמְנַע אֶת הִתְפַּשְּׁטוּת הַמַּגֵּפָה וְיַצִּיל חַיִּים שֶׁל אַלְפֵי רְבָבוֹת בָּעוֹלָם כֻּלּוֹ.

    אָנָּא ה' שְׁלַח רְפוּאָה שְׁלֵמָה לְכָל חולֵי עַמֶּךָ. הִצִּילָנוּ מִכָּל תּוֹפְעוֹת הַלְּוַאי, רְפָאֵנוּ ה' וְנֵרָפֵא הושִׁיעֵנוּ וְנִוָּשֵׁעָה כִּי תְהִלָּתֵנוּ אָתָּה. וְהַעֲלֶה אֲרוּכָה וּמַרְפֵּא לְכָל תַּחֲלוּאֵינוּ. וּלְכָל מַכְאובֵינוּ וּלְכָל מַכּותֵינוּ. כִּי אֵל רופֵא רַחְמָן וְנֶאֱמָן אָתָּה. יִהְיוּ לְרָצון אִמְרֵי פִי וְהֶגְיון לִבִּי לְפָנֶיךָ. ה' צוּרִי וְגאֲלִי.

    תפילה לפני קבלת החיסון נגד קורונה | הנוסח המלא

    Schehechijanu in Kombination mit, z. B., neuen Kleidern

    Andere Rabbiner nehmen dieses Risiko der Bracha lewatala auch ernst, haben aber eine andere Lösung dafür. Rabbiner Asher Weiss (Autor des Minchat Ashchers) empfiehlt z. B., dass man Schehechejanu beispielsweise über ein neues Kleidungsstück sagt und dabei sowohl die Freude am neuen T-Shirt für den Sommer als auch die Corona-Impfung in Gedanken hat. Dieses Konzept kennen wir vom zweiten Tag Rosch Haschana, wo wir beim Kiddusch auch Schehechejanu sagen und dabei an die "neue" Frucht denken, die wir danach essen.

    "ומ"מ עצתי כאשר אדם שמח שמחה גדולה בענין כלשהו ונפשו חפצה לברך את ה', שקנה בגד חדש ויברך עליה שהחיינו ויכוין בלבו גם להודות ולהלל על חסדיו יתברך שמו באותו הענין המשמחו. וכך אני נוהג כאשר אני זוכה לראות את אחד מספריי יוצא לאור עולם, ואני מברך את ה' בברכת שהחיינו במקהלות ע"י לבישת ציצית חדשה."

    פרשת ויגש - ברכת שהחיינו ברואה חבירו ועל חיסון הקורונה

    Schehechejanu in Kombination mit Wiedersehen eines Freundes nach mehr als 30 Tagen

    Rabbiner Avraham Stav (ein junger israelischer Rabbiner) bringt eine ähnliche Idee, die mir besonders gefällt. Falls Sie meine E-Drascha zu Paraschat Wajigasch Ende Dezember gesehen haben, wissen Sie vielleicht weshalb. Es ging dort um das Thema "Brachot über Freundschaft".

    Rabbiner Stav schlägt vor, man solle sich mit einem Freund oder einer Freundin verabreden, die man seit mindestens 30 Tagen nicht gesehen hat. In Zeiten von Homeoffice und Social Distancing ist das nicht schwer. Wenn man diese geschätzte Person dann wieder sieht und sich darüber freut, kann man die Bracha von Schehechejanu sagen und dabei auch an die Corona-Impfung denken, welche es uns hoffentlich ermöglicht, wieder mehr soziale Kontakte zu pflegen.

    "יחד עם זאת, העצה הטובה ביותר לעניות דעתי היא שכאשר אותו אדם ייפגש בפעם הראשונה, פנים אל פנים, עם אדם שנמנע עד כה להיפגש עמו (יותר משלושים יום) וישמח בראייתו, יברך שהחיינו ויכוון בכך הן על שמחת המפגש והן על ההיחלצות מן הסכנה והמשבר. זאת משום שבין כה וכה יש מקום לברך את הברכה לא ברגע קבלת הזריקה אלא ברגע שבו האדם שמח בהשלכות של ההתחסנות, דהיינו כאשר הוא יכול שוב לבוא בין בני אדם."

    האם אפשר לברך 'שהחיינו' על חיסון נגד קורונה?

    Corona hat unser Leben verändert und dabei spannende rabbinische Fragen aufgeworfen.

    Wörtlich übersetzt bedeutet Halacha "gehen", da sie sich ständig weiterentwickelt und der jeweiligen Zeit angepasst werden muss. Wir sehen die Halacha also hier "in action" und können live mitverfolgen, wie von allen Seiten argumentiert und diskutiert wird, lange bevor sich ein Minhag entwickelt oder es gefestigte Meinungen gibt.

    Es ist aber auch eine Gelegenheit, den Namen G"ttes ausserhalb eines vollkommen ritualisierten Settings wie während der Tfila oder dem Tischgebet zu verwenden. Wir erkennen Heiligkeit und Dankbarkeit für G"tt in unserem Leben, auch wenn wir in eine Apotheke oder ins Impfzentrum gehen.

    Wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, welche Bracha für die Impfung gesprochen werden soll, dann löst dies aber auch noch etwas anderes aus. Wir machen uns Gedanken zum Vakzin und was das genau für uns bedeutet.

    Genauso wie wir nicht nur eine generische Bracha für "Lebensmittel" haben, sondern uns ganz spezifisch Gedanken machen und den zutreffenden Segensspruch sagen, der zur Natur der jeweiligen Sache passt (Wir fragen uns z.B. "Ist dies eine Frucht, die auf dem Baum oder am Boden wächst?"), so müssen wir auch hier innehalten und uns fragen:

    Was genau möchte ich mit dieser Bracha segnen? Was bedeutet die Covid-19-Impfung für mich ganz persönlich?

    • Sehen wir die Impfung, die wir erhalten, eher als persönliches freudiges Ereignis? Das wird am besten mit der Bracha von Schehechejanu ausgedruckt.
    • Denken wir eher daran, dass wir abhängig von der Gesundheit der anderen sind, dass Impfen auch ein Akt der Solidarität ist, dann drückt dies die Bracha von haTov veHaMetiv aus.
    • Gehen wir zum Impftermin mit Gedanken über die wissenschaftliche Errungenschaft in der Menschheitsgeschichte und mit der Hoffnung, dass die Impfung viele Leben retten wird? Die Tfila, die Raw Shmuel Elijahu verfasst hat, drück diese Gefühle schön aus.
    • Und wenn das prägnanteste, für uns ist, dass diese Impfung eine Rückkehr in die Normalität, eine Rückkehr zu unseren sozialen Kontakten ermöglicht, dann ist der Vorschlag von Raw Awraham Stav, es mit dem Wiedersehen eines Freundes zu verbinden, eine wunderbare Art und Weise, dies auszudrücken.

    Vielleicht finden Sie in dieser Auflistung etwas, dass Ihnen gefällt und Ihren Gefühlen entspricht. Vielleicht haben Sie aber auch selbst etwas verfasst, das Ihre Dankbarkeit ausdrückt.

    Auf jeden Fall hoffe und bete ich, dass genauso wie wir in Paraschat Korach lesen: "וְהַמַּגֵּפָ֖ה נֶעֱצָֽרָה" auch wir bald sagen können: "die Plage hat aufgehört"!

    In diesem Sinne: Schabbat Schalom und gute Gesundheit!